Fachliche Behandlung
Die fachlich gut fundierte Behandlung der Anorexie
ist sehr wichtig. Die Mortalitätsrate (Todesrate) unbehandelter
Anorexie beträgt nach heutigem Stand des Wissens im Langzeitverlauf
5 - 20 %. D.h. dass 5 - 20 % der an Anorexie erkrankten Personen
innerhalb von 20 Jahren nach Erkrankungsbeginn sterben. Je
schneller eine qualifizierte Behandlung einsetzt, umso kleiner
ist die Gefahr einer Chronifizierung.
Wahl der Behandlung
Die Behandlung der Wahl ist hierbei eine auf
die Behandlung von Essstörungen spezialisierte Psychotherapie.
Bei Kindern und Jugendlichen ist dabei eine
die ganze Familie erfassende Therapie unverzichtbar. Im Unterschied
zu erwachsenen PatientInnen tragen dabei die Eltern eine erhebliche
Verantwortung und spielen deshalb in der Therapie eine wichtige
Rolle.
Eine körperliche Abklärung
sowie je nach Schweregrad engmaschige
körperliche Kontrollen sind notwendig, wenn möglich
bei Ärzten mit speziellen Kenntnissen über Essstörungen.
In der Phase des Nahrungsaufbaus sind auch regelmässige
Laborkontrollen nötig, da es zu Störungen des Salzstoffwechsels
(unter anderem Phosphatmangel) kommen kann. Bei starker Untergewichtigkeit
ist eine Gewichtszunahme Voraussetzung dafür, dass eine
Psychotherapie überhaupt wirksam werden kann.
Anorexie als solche kann mit Medikamenten alleine
nicht behandelt werden. Meist ist auch eine Ernährungsberatung
alleine von begrenztem Nutzen.
Die Schwierigkeiten einer psychotherapeutischen
Behandlung ergeben sich jedoch dadurch, dass die Betroffenen
selber - und oft auch ihre Umwelt - lange Zeit das Vorliegen
einer Erkrankung negieren. Oft wird lange fälschlicherweise
angenommen, dass die Betroffene jederzeit mit dem "komischen"
Essverhalten aufhören und dazu übergehen könnten,
"normal" zu essen. Erst mit der Zeit wird deutlich,
dass sich die Problematik dem reinen Willenseinsatz entzieht
und dass andere Ansätze zur Veränderung der Situation
gesucht werden müssen.
Was zeichnet eine gute Behandlung aus
Eine gute Behandlung
zielt immer auf drei Bereiche: die Normalisierung des Essverhaltens
, auf die Normalisierung des Körpergewichts und auf die
Klärung der seelischen Zusammenhänge, die das Entstehen
der Erkrankung begünstigt haben, sie aufrecht erhalten
und allenfalls einen Rückfall in die Erkrankung begünstigen
würden, wenn sie nach Entlassung resp. nach Abschluss
der Behandlung unverändert weiterbestehen würden.
Normalisieren des Essverhaltens
Mindestens drei Hauptmahlzeiten und bis zu drei
Zwischenmahlzeiten täglich sind notwendig, um den anorektischen
Teufelskreis zu durchbrechen. Essgewohnheiten, bei denen das
Frühstück immer oder fast immer ausgelassen, das
Mittagessen häufig übersprungen und die Hauptmahlzeit
auf den Abend "gespart" wird, sind schädlich.
Normalisieren des Körpergewichts
Untergewicht:
Das Untergewicht führt nicht nur zu
körperlichen Veränderungen (Abmagern, Veränderung
der Haut, der Haare, der Nägel, der Knochendichte usw.),
sondern auch zu Veränderungen in Erleben, Fühlen
und Denken. Die Konzentrationsfähigkeit,
die vorübergehend gesteigert scheinen kann, lässt
bei stärkerem Untergewicht nach, die Stimmung
wird schlecht, und die Gedanken
kreisen während einem grossen Teil des Tages um Nahrung
und um den Wunsch nach weiterer
Gewichtsabnahme.
Das Untergewicht vermindert Gefühle,
Bedürfnisse, Interessen, mit der Zeit auch den Antrieb.
Auf dem Weg zur Besserung
Bei einer Gewichtszunahme
kommen bald die Gefühle wieder zurück. Dies wird
von einigen Betroffenen als angenehm, von anderen aber vorübergehend
als äusserst beunruhigend und destabilisierend erlebt.
Auch befürchten die Betroffenen oft, die umsorgende und
stützende Umwelt würde sich bei einer Gewichtszunahme
abwenden in der Überzeugung, die Betroffene sei wieder
gesund. Dem ist in Realität meist nicht so. Gerade wenn
das Gewicht steigt und die Gefühle wieder zurückkommen,
brauchen die Betroffenen jedoch aufgrund dieser Befürchtung
besonders viel Unterstützung durch die Behandler, aber
auch durch die Eltern, Geschwister und Freunde.
Ein sicherer Hinweis darauf, dass das
Gewicht (wieder) im gesunden Bereich liegt, ist das (Wieder-)
Einsetzen von regelmässigen Menstruationsblutungen. Wenn
eine Hormonsubstitution (Pille) im Vorfeld stattfand, sollte
sie spätestens in diesem Zeitpunkt abgesetzt werden.
Nur so können die Signale des eigenen Körpers richtig
verstanden werden.
In der Phase zwischen der Stufe 1 (Gefühle
kommen zurück) und Stufe 2 (Menstruation setzt wieder
ein) ist eine psychotherapeutische Behandlung im engeren Sinn
sehr hilfreich. Bevor die Gefühle zurückkommen,
hat die Einflussnahme auf das Verhalten im Sinne von Bewegungsreduktion
und Ernährungsveränderung Vorrang.
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