Obwohl auffälliges Essverhalten und Essstörungen
vor allem bei weiblichen Jugendlichen eine ernstzunehmende
Beeinträchtigung ihrer physischen und psychischen Gesundheit
darstellen, sind bis anhin nur ansatzweise spezifische Präventionsprogramme
ausgearbeitet worden. In Kanada wurde ausgehend von der Bulimia-Anorexia-Nervosa-Association
ein Präventionscurriculum entwickelt (Carney et al. 1986).
Moriarty et al. (1990) berichteten in einer ersten Evaluationsstudie,
dass sich das Wissen und die Einstellung gegenüber Essstörungen
positiv verändern liess. In den Vereinigten Staaten leistet
die National Anorexic Aid Society, seit 1994 in National Eating
Disorder Organization umbenannt, Pionierleistungen in der
Prävention von Essstörungen. Das von Levine &
Hill (1991) entwickelte "A 5 day lesson plan on eating
disorders: Grades 7 - 12" wurde als fachlich fundiertes,
sehr praxisnahes Unterrichtsmaterial für Lehrpersonen
zur Prävention in Schulen konzipiert. Ergänzt wurde
dieses Programm durch einen Film zur gleichen Thematik: "Skindeep:
A story about eating disorder prevention" (Levine &
Hill 1993). Leider liege bisher keine Evaluationsergebnisse
dieses Programms vor. Huon (1994) berichtete von positiven
Auswirkungen auf negative Einstellungen zum Körper und
gestörtes Essverhalten durch Gruppendiskussionen mit
weiblichen Jugendlichen. Insbesondere das Diätverhalten
konnte durch die Korrektur von Fehleinschätzungen und
-haltungen eingeschränkt werden.
Shisslak et al. (1990) publizierten ein Präventionsprogramm
in Arizona, das sich an Adoleszente richtete. Die Evaluation
zeigte hauptsächlich ein besseres Wissen zur Häufigkeit
und zu medizinischen Folgen von Essstörungen. Killen
et al. (1993) veröffentlichten erste Ergebnisse einer
kontrollierten Präventionsstudie, in welcher die Wirksamkeit
eines Präventionscurriculums überprüft wurde.
Das Präventionsprogramm bestand aus drei Hauptkomponenten:
zum einen Instruktion über schädliche Auswirkungen
von ungesunden gewichtsregulierenden Verhaltensweisen; zum
anderen Vermittlung von Wissen über unproblematische
gewichtsregulierende Massnahmen wie gesunde und ausgeglichene
Ernährung, Diätprinzipien und regelmässige
sportliche Aktivität im aeroben Bereich; und drittens
Entwicklung von Bewältigungsstrategien, um den verschiedenen
soziokulturellen Einflüssen zu widerstehen, welche mit
dem gegenwärtigen Zwang zum Dünnsein und Diäthalten
verknüpft sind. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass
sich zwar das Wissen über gestörtes Essverhalten
bei den Risikoschülerinnen, nicht aber bei den Nicht-Risiko-Jugendlichen
verbesserte, jedoch bei keiner der beiden Gruppen eine Verhaltensänderung
stattfand. Die Autoren plädieren deshalb für spezifische
Interventionen nur für Risiko-Adoleszente. In Norwegen
wurde ein nationales Projekt zur Prävention von Essstörungen
lanciert (Boeresen-Gresko 1992). Auch über dieses Projekt
liegen u.W. bisher noch keine Erfahrungen und Ergebnisse vor.
Derzeitige Präventionskampagnen sprechen einerseits
vermehrt Risikopopulationen an. Andererseits berücksichtigt
ein mehrdimensionales systemisches Interventionsmodell den
strukturellen Aspekt von Prävention (Hurrelmann 1990).
Für die konkrete Gesundheitsförderung heisst dies:
Prävention sollte persönliche Krisen und Fehlentwicklungen
als Ganzes beachten und nicht störungsspezifisch sein,
das Augenmerk vermehrt auf schützende und nicht vorwiegend
auf Risikofaktoren lenken sowie für die Vermittlung von
Präventionsbotschaften Gleichaltrige ("peers")
einsetzen. In neuester Zeit gehen verschiedene Pilotprojekte
wie z.B. der europäische Pilotversuch "euro-peers"
(für die Schweiz koordiniert vom Institut für Suchtforschung,
Zürich) in erweiterten Suchtpräventionskampagnen
von diesem Ansatz aus. Auf diese Weise erhofft man sich eine
kontinuierliche Auseinandersetzung mit altersspezifischen
Problemen und eine Kompetenzerweiterung der Adoleszenten im
Umgang mit Konflikten und Krisen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass störungsspezifische
Prävention zunehmend ergänzt wird durch strukturelle,
d.h. umweltbezogene, und personorientierte Gesundheitsförderung
und Prävention. Dies gilt auch für präventive
Interventionen im Jugendalter, im besonderen für den
Bereich von Körperwahrnehmungs- und Essverhaltensstörungen.
Aus: Barbara Budenberg: "Prävention von Essstörungen",
Schattauer 2000
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